Wann ist "WIR"?

Ich und Du ist nicht gleich Wir. Also nicht automatisch und nicht zwangsläufig. Der Umstand, dass es neben mir noch jemanden gibt, berechtigt noch nicht zu dieser Aussage. Warum diese Überlegung für Dich wichtig sein könnte? Vielleicht um das Wir zu verstehen, vielleicht um zu begreifen, wie die "Sache" zwischen den Menschen, stark vereinfacht, läuft - in guten wie in schlechten Zeiten...

 

OK. Vielleicht erinnern Dich die Kreise an Deine Volksschulzeit, an die naive Mengenlehre. Daran, was eine Menge ist. Und dass Wir eine Menge sind. So wie Ich und Du. Haben wir keinerlei Berührungspunkte, sei es räumlich, thematisch, zeitlich, gibt es kein Wir. Wir ist ein Konstrukt, das aus der Verständigung darüber entsteht. Damit meine ich, dass Ich und Du uns einig sind, dass es ein Wir ist. Wenn wir beispielsweise streiten, dann wissen Du und Ich, dass wir miteinander einen Konflikt haben. Wir sind uns darin einig, unabhängig davon, wie dieser Konflikt individuell bewertet wird. Gleichzeitig bedeutet es, dass ein Wir immer nur eine Teilmenge aus Ich und Du darstellt - egal wie groß diese auch sein mag - nie ist Wir die Menge aller Mengen. Diese Paradoxie kennen wir aus der Mengenlehre. Die logische Grundstruktur dieses Widerspruchs wird oft anhand dieses Beispiels beschrieben: Ein Dorfbarbier rasiert alle Männer im Dorf, die sich nicht selbst rasieren. Frage: rasiert er sich selbst? Angenommen, er rasiert sich selbst, dann rasiert er sich nicht (denn er rasiert ja nur all jene, die sich nicht selbst rasieren) - ein klarer Widerspruch. Die Annahme muss falsch sein. In unserem Fall würde es bedeuten, dass das Ich und das Du im Wir aufgehen, nicht mehr sind, was nicht sein kann, da es sich durch Ich und Du begründet...

 

Also, was ist jetzt Wir und wodurch findet es statt? Wir ist ein kommunikativer Akt. Wir einigen uns auf ein Wir. Die Ich und Du Beurteilung über die Qualität spielt so lange keine Rolle, bis die Qualität selbst zur Wir-Frage wird. So nach dem Motte:" sehen wir das alle gleich?" Daraus könnte dann wieder ein neues Wir entstehen. Das ist insofern wichtig, als dass wir nicht davon ausgehen können, dass alle, die sich zu einem Wir zusammengefunden haben, das Gleiche darunter verstehen müssen (siehe Dorfbarbier). Die individuellen Motive bleiben in der Hoheit von Du und Ich - schließlich sind wir nicht Wir!

 

Wir und die anderen. Wir, als die anderen. Merkst Du, wie sich etwas verändert hat? Also: wir haben ein Wir und ein Wir, als die anderen.Und über die Verständigung darüber, ein Wir', das sich darüber einig ist, dass es so ist! Und jetzt stellen wir uns bitte für einen Moment vor, wir würden das Bewerten einfach lassen. Was würde bleiben? EINIGUNG, selbst wenn wir uneins sind!

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Kerstin Feirer

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